Yoga als Zustand

Rishi Patañjali beschreibt ganz zu Beginn seiner Yogasutren den Zustand des Yoga (sūtra 1.2):

yogaś citta-vṛtti nirodhaḥ.

Wortbedeutung

yogaś (Grundform: yoga) – der Zustand der Einheit

citta – menschliches Bewusstsein, zusammengesetzt aus Sinnesbewusstsein (manas), Intelligenz (buddhi) und Ich-Bewusstsein oder Ego (ahaṁkāra)

vṛtti – Neigungen und Abneigungen (des Geistes)

nirodhaḥ (Grundform: nirodha) – Hinderung, Unterdrückung, Beschränkung, Vernichtung

Übersetzung

Yoga ist der Zustand, in welchem die Eigenschaften und Neigungen des menschlichen Geistes aufgelöst sind.

Interpretation

Gemeint ist der Zustand des Yogi, welcher das Ziel des menschlichen Lebens erreicht hat: das Transformieren des menschlichen Bewusstseins zu göttlichem Bewusstsein. Denn was bleibt übrig, wenn die Neigungen des menschlichen Geistes verschwunden sind? Es bleibt die wahre Identität, die individuelle göttliche Seele oder ātmā.

Dabei geht es aber nicht nur darum, rein intellektuell zu verstehen, dass die Identität eines Menschen die unsterbliche göttliche Seele ist, sondern darum, dies zu erleben. Dieses Erlebte ist jenseits der Vorstellungskraft; der Yogi kann es nur erleben, nicht aber beschreiben. Nur durch die langjährige und ernsthafte Praxis der Meditation kann ein Sadhaka (ein Übender) diesen Zustand erreichen – in diesem Zustand der tiefsten Meditation erreicht ein Yogi den atemlosen Zustand, in welchem seine Atmung stillsteht und sein Herz aufhört zu schlagen.

Es ist tatsächlich so, dass sich in tiefer Meditation sowohl Atmung als auch Herzschlag verlangsamen. Auf der physischen Ebene hat die Meditation dadurch eine wohltuende, erholsame Wirkung auf alle körperlichen Funktionen, insbesondere auf das Nervensystem und den Kreislauf.

In dieser tiefen Meditation ist der Geist komplett gedankenfrei, der Zustand ergibt sich also nicht durch eine bewusste Anstrengung sondern unwillkürlich durch die Gnade Gottes. Er ist ein Geschenk.

In der Praxis des Kriya-Yoga ist es die Übung Paravastha, in der dieser Zustand angestrebt wird. Das Wort parāvasthā bedeutet der höchste Zustand (para = höchst; avastā = Zustand). Der menschliche Geist löst sich im göttlichen Geist auf, wie ein Tropfen Wasser sich im Ozean auflöst.